Schweden hat neben seiner überwältigenden Natur noch eine weitere Besonderheit zu bieten: eine auffallend große Zahl steinerner Zeugnisse aus der Wikingerzeit und den vorangehenden Epochen.

Von Dr. Berthold Forssman

Schon bei meiner ersten Radtour durch Schweden fiel mir auf, dass am Straßenrand immer wieder Schilder mit dem mir damals noch unbekannten Schleifenquadrat den Weg zu Sehenswürdigkeiten wiesen. Diese konnten mitten im Wald liegen und von ganz unterschiedlicher Art sein: Das Spektrum reichte von alten Kirchen bis zu botanischen Besonderheiten. Aber eine starke Faszination übten auf mich vor allem historische Zeugnisse aus Stein aus. In den Karten waren diese archäologischen Funde (schwedisch „Fornminnen“) oft mit einem aus der Runenschrift übernommenen eckigen „R“ eingezeichnet. Manchmal suchte ich lange vergeblich im Wald danach, dann wiederum machte ich überraschende Zufallsfunde.

Forssman Übersetzer Steinrosen auf Gotland
Forssman Übersetzer Schiffssetzung auf Gotland

Wie waren die Wikinger wirklich?

Die nordgermanischen Wikinger haben bei uns bis heute nicht unbedingt den besten Ruf: Sie gelten entweder als blutrünstige Seeräuber oder zumindest als raubeinige unkultivierte Barbarentruppe. Inzwischen ist die Forschung zu einem differenzierteren Bild gekommen und verweist auf kulturelle Errungenschaften der Wikinger und ihre Bedeutung als Seefahrer und Händler. In Schweden hat man jedenfalls keine Berührungsängste mit seinen Vorfahren, und im ganzen Land findet man Zeugnisse aus der Wikingerzeit, der Epoche von 793 n. Chr. bis Mitte des 11. Jahrhunderts. Ihre Holzbauten sind meist nicht erhalten, wohl aber ihre kulturellen Zeugnisse aus Stein.

Schweden heute: Runensteine und Schiffssetzungen

Besonders zu erwähnen sind hierbei die Runensteine, die mich später während meines Studiums der nordischen Philologie so faszinierten, dass ich darüber meine Magisterarbeit schrieb. Runen wurden keineswegs nur in Stein geritzt, aber diese Inschriften sind wegen der Beständigkeit ihres Materials häufiger erhalten geblieben. In der Region Uppland nördlich von Stockholm stehen solche Runensteine manchmal fast an jeder Straßenecke, aber auch sonst findet man sie bei einer Fahrt durch Schweden an allen möglichen – oft auch unerwarteten – Stellen. Oft weisen die Steine eine schöne Ornamentik auf, aber die Inschriften sind in der Regel relativ stereotyp oder zumindest nicht so geheimnisvoll, wie man vielleicht meinen könnte. Meistens lauten sie in etwa „X errichtete diesen Stein nach Y, seinem Vater/Bruder/Sohn“.

Forssman Übersetzer Ales Stenar bei Kaseberga

Aber es gibt noch weitere Typen von „Fornminnen“, darunter die besonders beeindruckenden Schiffsetzungen. Bei einer solchen Anlage (schwedisch „skeppssättning“) ist nicht etwa ein ganzes Schiff vergraben worden. Vielmehr handelt es sich um eine Anordnung von Steinen in Schiffsform um ein Grab herum, und ganz bestimmt wurde ein so aufwändiges Denkmal nicht für einfache Leute errichtet! Zu einem beliebten Anziehungspunkt geworden sind „Ales Stenar“ (= die Steine von Ale), die wohl noch vor der Wikingerzeit auf eine Anhöhe an Schwedens Südküste errichtet wurden.
Woher kommt meine Faszination für solche „Fornminnen“? Vielleicht ist es die Tatsache, dass sie so anders als das sind, was bei uns aus dieser Zeit erhalten ist, und sie bilden eine überraschende Einheit aus künstlerischer und handwerklicher Fertigkeit und Ursprünglichkeit. Aber sicher ist es auch die ganz besondere Einbindung dieser kulturellen Denkmäler in die umgebende Landschaft – und das kann wohl jeder bestätigen, der einmal überraschend auf einer Waldlichtung auf solche Steine gestoßen ist oder über sie hinweg aufs Meer geblickt hat.

Siehe hierzu auch:
Mit Fahrrad und Zelt durch Schweden
Eine Lanze für die germanische Altertumskunde!
Der Runenstein von Rök – für immer ein Rätsel?
Schwedisch: wirklich alles wie im Deutschen?

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Lettisch, Estnisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!