Manche Stereotype über bestimmte Länder halten sich hartnäckig und werden ständig weitergetragen – meistens ohne böse Absicht oder sogar aus dem Wunsch heraus, besonders informiert oder witzig zu wirken. Aber nicht selten mischen sich auch Vorurteile darunter.

Von Dr. Berthold Forssman

Nicht alle haben es leicht, wenn sie auf eine Party gehen und nach ihrem Beruf gefragt werden. Bei naturwissenschaftlichen und technischen Berufen ist das Interesse meistens eher gering („da war ich in der Schule immer schlecht“), Psychologen sind genervt, weil so viele glauben, sich in ihrem Fachgebiet auszukennen, und Medizinern werden sofort mit Fragen zu Krankheiten bombardiert. Wenn ich mich als Übersetzer für nordische und baltische Sprachen „oute“, werde ich dagegen oft mit diversen Stereotypen und Klischees konfrontiert, von denen manche weder zutreffend noch besonders witzig sind.

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Nützlich oder peinlich?

Zunächst einmal vorweg: Ohne Stereotype geht es nicht. Die Welt ist groß und übersichtlich, und wir brauchen bestimmte Muster, um komplizierte Sachverhalte in irgendeiner Weise einordnen zu können. Viele dieser Stereotype haben einen wahren Kern oder können sogar positiv sein. Es stimmt beispielsweise, dass in Schweden und Island mehr Gleichberechtigung herrscht. Richtig ist auch, dass Alkohol mehr kostet als bei uns. Das Bild von einer überwiegend blonden Bevölkerung ist dagegen schon ein Klischee, und richtig anstrengend wird es, wenn Vorurteile ins Spiel kommen. Wie Verschwörungsmythen beruhen diese auf „absolut zuverlässigen Quellen“: Ganz sicher hat man da doch erst neulich etwas dazu gelesen, und wenn die Geschichte irgendwie glaubwürdig wirkt oder ins eigene Weltbild passt, wird sie nicht weiter hinterfragt.

Zum Thema „Norden“ (ich benutze den Begriff lieber als „Skandinavien“) fallen oft fast schon reflexartig Äußerungen wie „die haben doch die höchste Selbstmordrate der Welt“. Die Erklärung hat man auch schon parat: Das muss von der langen Dunkelheit im Winter kommen, und die ist auch der Grund, warum dort alle so hemmungslos saufen. Nur: Eigentlich müssten diese Regionen dann mittlerweile entvölkert sein, wie finanziert man bei so hohen Alkoholpreisen seinen Dauersuff, und wie passt das Bild vom stets selbstmordgefährdeten Finnen zum World Happinness Report, der die Finnen schon mehrfach zum glücklichsten Volk der Welt erklärt hat?

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Wenig differenzierte Sichtweise

Oft wird der Begriff „Skandinavien“ verwendet, wenn eigentlich Schweden gemeint ist, oder es wird gar nicht zwischen den einzelnen Ländern differenziert. Immer wieder werden auch eigene Träume auf den Norden projiziert, wird geradezu das Bild einer Modellregion heraufbeschworen. Viele gesellschaftliche Debatten enden bei uns mit dem Verweis auf Schweden, obwohl keineswegs feststeht, ob es um diesen konkreten Sachverhalt dort wirklich so vorbildlich bestellt ist. Auch das Bild vom schwedischen Sozialstaat hält sich trotz aller Sparmaßnahmen und Kürzungen seit Jahrzehnten hartnäckig. Dänemark und Schweden waren in den fünfziger Jahren freizügiger als Deutschland unter Adenauer. Weil zudem die Zensur früher gelockert wurde als bei uns, wurden Pornos geschmuggelt, die das Bild von der sündigen blonden Schwedin beförderten. Außerdem gingen dort Menschen zusammen nackt in die Sauna, was im prüderen Deutschland als Sodom und Gomorrha galt. Der schwedische Spielfilm „Sie tanzte nur einen Sommer“ von 1952 geriet wegen einer heute völlig harmlos anmutenden Badeszene zum Sittenskandal. In diesen Punkten haben wir inzwischen „aufgeholt“, weshalb zumindest das Vorurteil von der freizügigen Blondine allmählich verblasst, was nun wahrlich nicht schade ist. Und so viel sei noch gesagt: Smörrebröd ist kein schwedisches Wort, der Alkoholkonsum liegt in den nordischen Ländern deutlich niedriger als bei uns, Grönländisch kennt keine 36 Wörter (oder wie viele waren es noch einmal?) für Schnee – und Finnisch ist nicht schon allein deshalb die angeblich schwierigste Sprache der Welt, weil es so viele Kasus hat.

Siehe hierzu auch:
Island im Winter: Reisen für Fortgeschrittene
Mit Fahrrad und Zelt durch Schweden
Wie schwierig ist Estnisch?
Leben mit der Sauna als Mittelpunkt

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!