Internationen sind nicht nur wichtig für die Aussprache, sondern können sich auch auf die Bedeutung von Wörtern auswirken.

Von Dr. Berthold Forssman

Ich spreche kein Chinesisch, Vietnamesisch oder eine andere klassische Tonsprache. Um sich als Laie trotzdem Intonationen und ihre Aussprache einigermaßen vorstellen können, finde ich das simple deutsche Wort „so“ recht geeignet. Wenn ich „so (wird’s gemacht)!“ sage, klingt das ganz anders als die ungläubige Frage „(wirklich) so?“ Und dann äfft einen noch jemand nach und sagt schnippisch „so“. Auch Fragen können wir durch die Intonationen kennzeichnen, z.B. “Gib mir das Buch! – Das Buch?” Im Schwedischen sind die Intonationen deutlich ausgeprägter, was seinen ganz besonderen Klang ausmacht. Das ist zwar eine Herausforderung beim Erlernen der Aussprache, aber wortunterscheidend wirken die Intonationen nicht.

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Intonationen in den beiden baltischen Sprachen

Anders sieht es dagegen im Litauischen und Lettischen aus. Im Litauischen kann die Betonung nach bestimmten Regeln auf die letzte, vorletzte oder noch weiter vorne gelegene Silben fallen, und jede Silbe wird intoniert – hier wird zwischen Kurzton, Stoßton und Schleifton unterschieden. In sprachwissenschaftlichen Werken wird – anders als in der regulären Schriftsprache – gekennzeichnet, welche Silbe die Betonung trägt und wie diese intoniert wird, z.B. in výras „Mann“ oder vãkaras „Abend“. Die Intonationen und die Aussprache ingesamt gehören somit zu den ganz besonderen Herausforderungen, wenn man Litauisch lernen möchte.

Im Lettischen sieht die Lage etwas anders aus: Die Betonung liegt – von einigen Ausnahmen abgesehen – immer auf der ersten Silbe. Intonationen gibt es ebenfalls, wenngleich sich diese von Region zu Region unterscheiden. Entscheidend ist jedoch, dass es in beiden Sprachen Wörter gibt, die gleich geschrieben, aber unterschiedlich intoniert werden und verschiedene Bedeutungen annehmen. So bedeutet lettisch zāle intoniert als [zãle] „Saal“, ausgesprochen als [zâle] dagegen „Gras“. Das lettische Verb griezt bedeutet je nach Intonation „schneiden“ [griêzt] oder „drehen“ [grìezt]. Ihrer Silbenstruktur nach sehen litauisch vilkas „Wolf“ und pilnas „voll“ sehr ähnlich aus, aber die Aussprache ist völlig unterschiedlich. Wer die Gelegenheit dazu hat, möge sich solche Sprachpaare einmal von Muttersprachlern vorsprechen lassen.

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Besonders tückisch: das Estnische

Das Estnische kennt dagegen drei Silbenlängen, kurz, lang und überlang. Dabei handelt es sich zwar im Prinzip um ein anderes Phänomen, aber das macht es nicht einfacher: Nur in wenigen Fällen wie b – p – pp kann man die Längen im Schriftbild erkennen. Anders zum Beispiel bei linna: lang gesprochen bedeutet es „der Stadt“ (Genitiv) oder – gleich geschrieben aber überlang gesprochen – „in die Stadt“. Man merkt daher schon beim Vorlesen eines Textes im Unterricht, wenn sich die Kursteilnehmer nicht vorbereitet haben. Nun solle das alles auf keinen Fall vom Erlernen dieser Sprachen abschrecken: Man wird in den allermeisten Fällen verstanden, auch wenn man mal einen Fehler macht – und die Gefahr echter Fettnäpfchen ist minimal.

Siehe hierzu auch:
Wie schreibt man ein Wörterbuch – und warum?
Baltisch – was genau ist damit gemeint?
Wie schwierig ist Estnisch?
Jenseits von Raum und Zeit: Adverbien

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!