Die Einführung der Krone als neue Währung aus dem Nichts war für Estland ein gewagtes Experiment. Aber heute, dreißig Jahre später, lässt sich eindeutig sagen: Es ist gelungen.

Von Dr. Berthold Forssman

Die estnische Währungsreform von 1992 wird oft mit der Einführung der D-Mark in Westdeutschland 1948 und dem anschließenden Wirtschaftswunder verglichen. Tatsächlich gab es einige Parallelen: Die stabile Währung schuf neue Anreize zum Investieren und Geldverdienen, und die Läden füllten sich über Nacht mit Waren. Allerdings gab es auch eine Reihe von Unterschieden.

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Estlands Sonderweg

Spätestens mit der Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit war klar, dass man den so gut wie wertlos gewordenen Rubel als Zahlungsmittel ersetzen musste. Dass die neue Währung wieder Krone heißen würde wie vor dem Zweiten Weltkrieg, stand ebenfalls längst fest. Aber anders als die Deutschen 1948 waren die Esten vorab über die geplante Währungsreform informiert worden und konnten vom 20. bis zum 22. Juni 1992 alle ihre Rubel in Kronen umtauschen. Für die ersten 1.500 Rubel galt ein Kurs von 1:10, bei höheren Bargeldbeträgen von 1:50. Außerdem wurden alle in estnischen Banken lagernden Rubel umgetauscht. Die Estnische Krone war von da an das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in Estland – und von Anfang an im unveränderlichen Kurs von 1:8 an die D-Mark gebunden. Aber würde es gelingen, die Krone dauerhaft stabil zu halten? Nur dann würde auch das in die neue Währung gesetzte Vertrauen Bestand haben.

Beginn auf niedrigem Niveau

Insgesamt wurden knapp 600 Millionen estnische Kronen in Umlauf gebracht, also rund 74 Millionen D-Mark. Bei damals gut 1,4 Millionen Einwohnern entsprach das pro Kopf freilich gerade einmal bescheidenen 53 D-Mark (oder heute rund 27 Euro), und das monatliche Durchschnittsgehalt lag bei etwa 500 Kronen (62,5 D-Mark). Allerdings lagen auch die Preise für viele Artikel und Dienstleistungen entsprechend niedrig. Schon bald wurde Tallinn daher von finnischen Touristen überschwemmt, aber auch immer mehr Unternehmen investierten in Estland. Kein Zweifel: Die geografische, historische und sprachliche Nähe zu Finnland war enorm hilfreich. Ein Produkt war nicht aufzutreiben, ein Ersatzteil fehlte? Ein Griff zum Mobiltelefon, und schon brachte es die nächste Fähre aus Helsinki mit.

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Ich erinnere mich noch gut, wie überrascht ich bei meinem ersten Aufenthalt in Estland war, dass alles so gut funktionierte und wie modern das Land bereits im Vergleich zum etwas beschaulicheren Lettland wirkte, wo man noch mit einer Übergangswährung laborierte. Aber natürlich war es für keines dieser Länder einfach, seine Wirtschaft aus dem sowjetischen Gefüge herauszulösen und sich neu zu erfinden. Die Esten waren die Vorreiter, konnten dafür aber auf keine Vorbilder zurückgreifen, während die Letten und Litauer zwar erst später nachzogen, sich aber an den Esten orientieren und aus ihren Fehlern lernen konnten. In Estland selbst verlief die Entwicklung mal schneller, mal langsamer, und natürlich gab es auch Probleme und Rückschläge. Aber es wurde eine Erfolgsgeschichte, und das ist auch der mutigen Währungsreform zu verdanken.
Alt ist die Estnische Krone trotzdem nicht geworden: Nach dem EU-Beitritt 2004 strebte Estland eine zügige Aufnahme in die Eurozone an, die zum 1. Januar 2011 vollzogen wurde. Lettland vollzog diesen Schritt 2014, Litauen 2015 – und wieder einmal waren die Esten stolz, die Ersten gewesen zu sein!

Siehe hierzu auch:
Baltische Staaten, Baltenrepublik – wie sinnvoll sind diese Bezeichnungen?
Talsinki – Europas neue Metropolregion
Wechselnde Grenzerfahrungen
Lettland nach der Stunde Null
Ein lettisches Sommermärchen

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Lettisch, Estnisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!