Parallel zu meinem sprachwissenschaftlichen Hauptstudium habe ich einen Studiengang in Kirchenmusik absolviert. Er umfasste Orgel- und Klavierspiel, Klavierbegleitung, Gesang und Chorleitung als praktische Fächer und darüber hinaus jede Menge Theorie wie Tonsatz, Hymnologie oder Orgelkunde. Bis heute profitiere ich aber ganz besonders von dem Fach Theologisches Grundwissen.
Zu meinem C-Studiengang in Kirchenmusik (vergleichbar in etwa einem B.A.) gehörte auch das Fach „Theologisches Grundwissen“. Zu meinem Erstaunen spitzten die dort anwesenden Theologiestudenten ganz besonders aufmerksam die Ohren. Wir Teilnehmer aus anderen Studiengängen meinten dann erstaunt: „Na, gerade ihr wisst das alles doch längst.“ Aber die Antwort lautete überraschenderweise: „So kompakt bekommen wir das sonst nicht dargeboten.“ Und in der Tat: Wir bekamen hier innerhalb eines Jahres einen wunderbaren Überblick über eine sehr umfangreiche Materie.
Wissen als Schatz
Es ist schade, dass die Kenntnisse im Bereich Theologie rapide nachlassen. Dabei gewährt ein solches Wissen einen Einblick in die Grundlagen unserer Kultur, und zwar unabhängig davon, ob man einer Religion oder Konfession angehört oder ob man an die Inhalte glaubt oder nicht. Gerade in meiner heutigen Tätigkeit als Übersetzer und Journalist profitiere ich mehr oder weniger täglich davon, einige der wichtigsten Fakten zu kennen.
Fehlt ein solches Wissen, können sich an vielen Orten Fehler einschleichen. Das fängt damit an, dass Bibelzitate oder aus der Bibel stammende Redensarten nicht mehr als solche erkannt und vor allem infolgedessen falsch verwendet werden. Was sind eigentlich „Evangelien“ oder „Evangelisten“, nach wem heißen sie und wie viele gibt es davon? Warum feiern wir Weihnachten und Ostern, wer waren Abraham und Moses, was ist der Auszug Israels aus Ägypten, und was steht in der Offenbarung des Johannes? Die großen Kantaten von Johann Sebastian Bach, die Oratorien von Georg Friedrich Händel: Wer klassische Musik studiert oder liebt, weiß womöglich nicht, worum es darin eigentlich geht. Was machen Kunstgeschichtler, wenn sie religiöse Motive auf mittelalterlichen Gemälden nicht richtig zuordnen können? Historiker, Sprach- und Literaturwissenschaftler, Philosophen, Politologen, Archäologen, Architekten und viele mehr: Sie brauchen diese Kenntnisse. Folglich gilt das auch für Übersetzer, die mit entsprechenden Texten zu tun haben. In der historischen Sprachwissenschaft sind Quellen wie die Bibelübersetzungen ins Gotische oder Altkirchenslawische unverzichtbare Quellen. Wie praktisch, wenn man schon weiß, woher diese Texte kommen und was dort steht! Und nicht vergessen: Luthers Bibelübersetzung hat das Deutsche fundamental und nachhaltig geprägt.
Fettnäpfchen auf Schritt und Tritt
Natürlich kann und muss niemand alles wissen. Aber wenn Fachleute grobe Schnitzer begehen, kann es peinlich werden. Bei der Übersetzung eines Films musste ich einmal dem Dialogbuchautor erklären, dass es evangelische und katholische Kirchen und Gottesdienste gibt, dass manche Musikstücke in bestimmten Zusammenhängen mit Sicherheit nicht vorkommen und dass es unterschiedliche Bibelübersetzungen gibt. In der Kirche werden nun einmal im Advent (das Wort konnte er auch nicht richtig zuordnen) keine Weihnachtslieder gesungen, und die Liturgie (auch dieses Wort hatte er noch nie gehört) weicht in katholischen und evangelischen Gottesdiensten voneinander ab. Wie man sich ein solches Wissen auch immer erwirbt oder woher man es mitbringt: Es ist ein klarer Vorteil – und ich würde es so ausdrücken: „Fortschritt ist auch, wenn die Menschheit nicht vergisst, was sie schon einmal wusste.“
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!