Offenbar gibt es in Europa ein neues Land mit dem Namen „Skandinavien“. Aber wo verlaufen seine Grenzen, und wodurch zeichnet es sich aus? Und wofür steht „nordische Staaten“?
Haben Sie den Begriff „Skandinavien“ schon einmal gehört? Ganz bestimmt! Aber wissen Sie auch, was damit genau gemeint ist? Oder wo die Grenzen von Skandinavien verlaufen, und was die nordischen Staaten sind? Vielleicht eher nicht. Doch keine Sorge: Viele Journalisten, Publizisten oder Politiker wissen es ebenso wenig. Trotzdem reden sie bei jeder Gelegenheit von diesem merkwürdigen Wunderland – selbst wenn der Begriff nicht passt oder sogar falsch ist.
Skandinavien, nordische Staaten – was ist was?
Tatsächlich ist der Begriff „Skandinavien“ nicht ganz eindeutig. Geografisch ist eigentlich die Skandinavische Halbinsel gemeint, die in jedem Fall die Länder Schweden und Norwegen umfasst. Aus kulturellen und sprachlichen Gründen zählt man in der Regel auch Dänemark dazu, bei Finnland ist die Zugehörigkeit schon deutlich weniger klar, bei Island erst recht. Tatsächlich gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen diesen fünf Staaten – nur bezeichnen sie sich selbst als den „Norden“ oder die „nordischen Staaten“. Eher als Scherz benutzt man manchmal das Adjektiv „skandinavisk“, um auf die Ähnlichkeit der Sprachen Dänisch, Norwegisch und Schwedisch anzuspielen, in denen in unerschiedlichem Grad eine Verständigung möglich ist – Finnland ist hier aber definitiv nicht gemein, auch nicht Island.
Eine unzulässige Verallgemeinerung
Der in Deutschland inzwischen fast inflationsartig verwendete Begriff „Skandinavien“ bezieht sich auf – tja, auf was eigentlich? Ein paar Beispiele: „Wenn in Skandinavien Ende November die Polarnacht beginnt …“ – Dänemark kann hier wohl kaum gemeint sein und in Schweden und Norwegen nur der allerhöchste Norden. „In Skandinavien wird immer noch Midsommar gefeiert“. Tja, Midsommar ist ein schwedisches Wort und bezeichnet tatsächlich das Mittsommerfest, nur dass es in Dänemark und Norwegen „Sankt Hans“ heißt. Aber damit kommen wir dem Kern der Sache schon recht nahe: Gemeint ist in der Regel einfach nur Schweden, dessen vermeintlichen Eigenschaften unreflektiert auf den ganzen Norden übertragen werden.
So entsteht ein Strom von Falsch- oder zumindest irreführenden Meldungen. „In Skandinavien setzt man wieder auf Atomkraft“. Wirklich? Norwegen und Dänemark (und Island) haben ja aber gar keine AKWs. „In Skandinavien herrscht eine strikte Alkohol-Politik“. Komisch nur, dass man in Dänemark Wein und Schnaps im Supermarkt kaufen kann wie bei uns. „Bei den EU-Wahlen zeichnet sich in Skandinavien ein Trend ab“. Seltsam – Norwegen ist gar kein EU-Land. Und hat sich jemand wirklich die Mühe gemacht, auch die Lage in Finnland zu prüfen? „Bei den Wahlen in Skandinavien sind die Rechtspopulisten erfolgreich“. Dem wäre entgegenzuhalten, dass sie es in Dänemark zuletzt nicht waren (die Beispiele sind beliebig austauschbar). Warum sollte Norwegen auch ähnliche Wahlentscheidungen treffen wie Schweden oder die anderen nordischen Staaten? Am schönsten fand ich einmal „Skandinavien und andere Länder“. Es ist wie bei dem unseligen Dauerbegriff „Baltische Staaten“ – einer schreibt vom anderen ab, bis man den Begriff so oft gehört hat, dass man ihn für richtig hält. Aber am Ende bleibt nur eins: ein schwammiger Begriff, ein Zerrbild, das von mangelnder Recherche und fehlendem Wissen zeugt, echten Informationen jedoch eher im Weg steht.
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!