Isländisch und Altnordisch haben bei uns oft die Aura ganz besonders geheimnisvoller oder gar sagenumsponnener Sprachen. Was ist an der Sache dran?

Von Dr. Berthold Forssman

Wir wissen nicht genau, welche Menschen wann das erste Mal Island betraten, aber sicher ist, dass die erste dauerhafte Besiedlung im 9. Jahrhundert n. Chr. von Skandinavien aus erfolgte. Vor allem aus Norwegen kamen Menschen auf der Suche nach Land, aber auch auf der Flucht vor Streitigkeiten oder drohenden Strafen oder getrieben von Abenteuerlust. Die Isländer datieren den Beginn dieser Besiedlung auf 874 n. Chr., und um 930 n. Chr. ist ein Großteil des nutzbaren Landes verteilt.

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Die Sprache der alten Nordleute

Diese ersten dauerhaften Bewohner der Insel brachten vom europäischen Festland auch ihre Sprache mit. Wir bezeichnen sie oft als „Altnordisch“, da sie im ganzen Norden einigermaßen einheitlich gewesen sein dürfte, bis sie sich in Einzelsprachen wie Norwegisch, Schwedisch, Dänisch oder Isländisch aufgliederte. Das Altnordische gehört zur germanischen Sprachgruppe und ist folglich mit dem Deutschen, Englischen oder Niederländischen verwandt, was schon beim ersten Blick in die Grammatik deutlich wird.

Ende des 8. Jhd. n. Chr. war die Segeltechnik der Nordleute so weit fortgeschritten, dass sie größere Überfahrten wagten und sich schon bald den Ruf als barbarische Plünderer erwarben. Für sie wurde der Begriff „Wikinger“ geprägt, und insofern ist es ebenso richtig zu sagen, dass Island von Wikingern und ihren Familien oder zumindest in der Wikingerzeit besiedelt wurde. Allerdings empfanden sich die Bewohner der Insel lange Zeit gar nicht als eigene Nation, und die Begriffe Altisländisch, Altnorwegisch oder Altnordisch sind mehr oder weniger deckungsgleich. Erst als die Kontakte zu Norwegen im Mittelalter weniger intensiv wurden, entwickelten sich die Sprachen auseinander. Das Isländische veränderte sich allerdings nur wenig, während das Norwegische, Dänische und Schwedische während der Hansezeit stark vom Deutschen beeinflusst wurden.

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Weniger geheimnisvoll als gedacht

Streng genommen ist Isländisch also eher das Gegenteil von „geheimnisvoll“: Es ist eine Sprache, deren Ursprung wir genau kennen und deren Entwicklung wir fast ununterbrochen mitverfolgen können. Als (nord)germanische Sprache ist es uns außerdem deutlich weniger fremd als beispielsweise die slawischen Sprachen wie Polnisch, Russisch und Tschechisch oder gar Finnisch. Studierende der Nordischen Philologie (Skandinavistik) müssen gewisse Grundkenntnisse in Altnordisch bzw. Altisländisch erwerben, lernen es aber als tote Sprache wie Latein und finden es meistens recht mühsam. Auch wer modernes Isländisch lernen will, entdeckt erstaunlich viele Tücken. Dafür gibt es mehrere Gründe: Der erste ist, dass sich das Isländische seit der Besiedlung der Insel nur wenig verändert hat und damit über eine sehr umfangreiche altertümliche Grammatik verfügt (obwohl das für die Isländer den Vorteil hat, dass sie ohne größeres Vorwissen ihre eigenen alten Texte wie die Isländersagas lesen können). Ein weiterer Grund ist, dass Island eine sehr puristische Sprachpolitik betreibt und deshalb nur wenige Internationalismen verwendet: Anstelle von Fremdwörtern werden entweder neue Begriffe gebildet oder passende ältere Wörter mit einem neuen Sinn belegt. Zu diesen Neuschöpfungen gehören z.B. sími „Telefon“ oder tölva „Computer“. Ein bisschen Spannung bleibt trotzdem, denn natürlich spiegelt das Isländische auch seine Umgebung wider, seine Natur und seine Kultur. Das äußert sich beispielsweise in dem ganz speziellen Namenssystem der Isländer – und in einer Vielzahl merkwürdiger Ausdrücke und eigentümlicher Redensarten, die sich uns trotz aller Sprachverwandtschaft nicht auf Anhieb erschließen.

Siehe hierzu auch:
Internationalismen: Wie universell sind sie wirklich?
Schwieriger geht immer – aber gilt das auch für Sprachen?
Hansedeutsch: die einstige Lingua franca im Ostseeraum
Wie alt sind Europas Sprachen?
Schweden und sein steinernes Erbe
Eine Lanze für die germanische Altertumskunde!
Die Isländersagas: Islands Beitrag zur Weltliteratur
Der Vulkanausbruch von Heimaey: Die abgewendete Katastrophe

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!