Wer kennt sie nicht, die verzweifelte Suche nach einem ganz bestimmten Wort? Für mich als Übersetzer kann es für fehlende Wörter aber auch andere Gründe geben als Vergesslichkeit oder mangelnde Sprachkenntnisse!
Als Übersetzer, vor allem aber auch als Autor von Sprachlehrwerken und Wörterbüchern, kenne ich dieses Phänomen nur allzu gut: Ich stoße in einer Fremdsprache auf Wörter, die es im Deutschen nicht gibt. Was für Wörter sind das beispielsweise – und wie gehen wir damit um?
Besonders häufig trifft das natürlich auf Wörter zu, die etwas bezeichnen, das es im jeweils anderen Kulturraum nicht gibt. Konkret können dazu seltene, regionalspezifische Tiere oder auch Pflanzen gehören, die bei uns nicht wachsen. Schon etwas „menschengemachter“ sind spezielle Geräte, Speisen, Spiele oder Kleidungsstücke, und noch abstrakter sind die Bezeichnungen für Schulabschlüsse, Behörden oder Gebietskörperschaften.
Rasenhöcker, Schiffssetzungen und Moltebeeren
Was aber machen wir, wenn wir ein Wort nachschlagen und mit der Übersetzung nicht wirklich etwas anfangen können? Das schwedische Wort „tuva“ wird oft mit „Rasenhöcker“ wiedergeben, und wer schon einmal in einem sumpfigen schwedischen Wald von einer halbwegs trockenen Erhebung zur nächsten gehüpft ist, weiß sofort, wovon der Rede ist. Aber kann man sich sonst unter diesem Wort wirklich etwas vorstellen? Wer könnte auf Anhieb sagen, was eine „Schiffssetzung“ ist (Archäologieinteressierte einmal ausgenommen)? Wer hätte bis zum Siegeszug von Ikea gewusst, was „Moltebeeren“ sind? Kurz und gut: Selbst wenn es Übersetzungen gibt, helfen sie nicht unbedingt weiter.
Selten schaffen solche Wörter oder ihre Übersetzungen aber auch den Sprung ins Deutsche, und bei meinen Arbeitssprachen trifft das vor allem für das Schwedische zu. Das schwedische Wort sowie die Institution eines „Ombudsman“ sind uns inzwischen geläufig. Durch Ikea sind manche Lebensmittel so bekannt geworden, dass sie auch von anderen Herstellern unter diesem Namen vertrieben werden, darunter die „Köttbullar“ (Fleischbällchen). Da schwedisch „kött“ Fleisch bedeutet, sind „Gemüseköttbullar“ eine etwas eigenwillige Wortschöpfung – aber wer will schon so kleinlich sein? Vor allem zeigt es, wie sehr das Wort mittlerweile im Deutschen Fuß gefasst hat. Auch „Kanelbullar“ werden zwar oft noch mit „Zimtschnecken“ übersetzt, haben aber teilweise ebenfalls bereits angefangen, ein sprachliches Eigenleben zu entwickeln.
Nie wieder ohne knytkalas, allemansrätt und påtår!
Besonders amüsant finde ich übrigens Begriffe, bei denen wir zwar den Sachverhalt genau kennen, aber kein wirklich treffendes Wort dafür haben. Warum eigentlich nicht? Ein schwedischer „knytkalas“ ist eine Party, wo jeder etwas zu essen mitbringt. Jeder von uns kennt so etwas, aber gibt es dafür eine Bezeichnung? Schwedisch hat außerdem das Wort „dygn“, das den Tag mit seinen 24 Stunden bezeichnet, also nicht den Tag als Gegensatz zur Nacht. So etwas fehlt uns auch. Manchmal könnten wir uns, abgesehen davon, von anderen Ländern, Kulturen und Sprachen auch eine Scheibe abschneiden! Das gilt für mich für das schwedische „allemansrätt“ (Jedermannsrecht), also die Erlaubnis, für eine Nacht in der Natur wild zu zelten. Und was wir dringend bräuchten, wäre der „påtår“ – nämlich die Möglichkeit, einmal für Kaffee zu bezahlen und sich dann nach Lust und Laune selbst nachzuschenken.
Siehe hierzu auch:
• Schwedisch: wirklich alles wie im Deutschen?
• Falsche Freunde – von lustig bis tückisch
• Mit Fahrrad und Zelt durch Schweden
• Was macht ein Wörterbuch aus?
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer u.a. für Estnisch, Litauisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!