Nordische Runen: Das klingt automatisch nach Magie. Tatsächlich sind diese Schriftzeichen eine packende und faszinierende Materie –auch wenn sie gar nicht so geheimnisumwittert sind wie oft gedacht.
Schon als Kind hatte ich ein Buch „Schriften der Welt“, in dem unter anderem die germanischen Runen aufgeführt waren. Dort standen 24 Zeichen mit einem Lautwert, der in etwa unserem Alphabet entsprach, und manche Runen sahen unseren lateinischen Buchstaben gar nicht so unähnlich. Natürlich verführte das leicht dazu, auch einmal selbst etwas in Runen zu schreiben, und im Alltag sehe ich gar nicht so selten Runen in irgendeiner Form – ob nun auf Textilien oder als Tattoos. Mit den historischen Vorbildern aus dem germanischen Altertum haben sie allerdings oft nicht mehr allzu viel zu tun.
Ältere und jüngere Runen
Schließlich schleichen sich dabei allerhand Schönheitsfehler ein. Die germanischen Runen waren keine streng genormte Schrift, und sie waren nicht für eine massenhafte Verbreitung oder für Handschriften vorgesehen, für den Buchdruck, für T-Shirts und für Hosenträger natürlich sowieso nicht. Ich spreche bewusst nicht von Alphabet, da die Runen nicht gemäß einer Reihe A(lpha) – B(eta) etc. angeordnet sind. Nach dem Lautwert der ersten Zeichen f-u-þ-a-r-k spricht man deshalb von Fuþark. Vor allem aber endet die Zeit der Runenreihe mit 24 Zeichen schon deutlich vor Beginn der Wikingerzeit (ab ca. 800 n. Chr.). Sachbücher irren also, wenn sie unter „so schrieben die Wikinger“ diese 24 Runen anführen, denn die auf den Norden begrenzte Runenreihe schrumpfte aus nicht sicher geklärten Gründen auf nur noch 16 Zeichen.
So ein Vorgang ist in der Tat ungewöhnlich: In den meisten Fällen reagieren Schriftsysteme damit, zusätzliche Zeichen einzuführen. Bei uns wären dies beispielsweise ä, ö und ü als neue Vokalzeichen und ß als zusätzlicher Konsonant. Andere Sprachen wie z.B. Lettisch oder Litauisch haben noch viel mehr Zeichen hinzugefügt, von š, č oder ž bis ū. Die nordischen oder auch jüngeren Runeninschriften sind zwar leicht zu entziffern, weil sie nur noch 16 Zeichen enthalten, und die zugrundeliegende Sprache – das Altnordische – ist vor allem durch (alt)isländische Textzeugnisse gut bekannt. Aber umso schwieriger ist ihre Deutung, weil viele Runen nicht nur für einen Laut stehen, sondern für mehrere. Am Runenstein von Rök beispielsweise beißt sich die Forschung schon seit mehr als 100 Jahren die Zähne aus.
Die Masse macht es
In diesem jüngeren Fuþark der Wikingerzeit gibt es dafür eine ernorme Vielzahl von Schriftzeugnissen in Stein. In manchen Gegenden Schwedens stehen solche Runensteine quasi an jeder Straßenecke. So habe ich sie als Schüler bei meiner ersten Fahrradtour kennengelernt, was wiederum dazu führte, dass ich mich im Nordistik-Studium mit Begeisterung auf jedes Seminar zu den Runen stürzte. Am Ende schrieb ich zu einem Runenthema sogar meine Magisterarbeit – und wie stolz war ich, an Universitäten wie Kopenhagen oder Uppsala mit führenden Runologinnen in Kontakt zu treten!
Siehe hierzu auch:
• Der Runenstein von Rök – für immer ein Rätsel?
• Schweden und sein steinernes Erbe
• Eine Lanze für die germanische Altertumskunde!
• Die Isländersagas: Islands Beitrag zur Weltliteratur
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!