Natürlich sind Reisen nach Island zu jeder Jahreszeit möglich, und immer mehr Touristen finden inzwischen auch im Winter ihren Weg auf die Insel. Aber wie ist es dort im Dezember – und wie gestaltet sich der Alltag für die Isländer in dieser Zeit?
Ganz Island liegt gerade noch südlich des Polarkreises, kennt also keine klassische Polarnacht. Doch selbst wenn die Sonne mittags für ein oder zwei Stunden über den Horizont klettert und nicht von Wolken oder einem Berghang verdeckt wird: So richtig hell wird es im Dezember nur kurz oder gar nicht. Zwar wird es auf der Insel durch den Golfstrom nicht so kalt wie möglicherweise befürchtet, aber mit Minustemperaturen ist auf jeden Fall zu rechnen. Dafür liegt ab November meist eine dichte Schneedecke, und die Berge sind dann weiß überpudert. In der Sonne glänzt der Schnee gleißend hell und im Mondlicht fast schon gespenstisch – und lässt die Nächte weniger dunkel erscheinen.
Schwerer Alltag
Was jetzt vielleicht romantisch klingt, ist im Alltag nicht immer einfach. Dafür sorgen vor allem die heftigen Stürme, gegen die selbst manche Orkane an der deutschen Küste wie sanftes Säuseln wirken. Ortschaften außerhalb der Hauptstadt sind durch den Schnee oft nur schwer oder gar nicht mehr erreichbar, und auch die Inlandsflüge müssen bei heftigem Sturm eingestellt werden. Schwangere aus abgelegenen Gegenden werden deshalb schon lange vor dem erwarteten Geburtstermin ins Landeskrankenhaus nach Reykjavík gebracht, falls sich Komplikationen abzeichnen. Ich erinnere mich an Tage im Dezember in den Westfjorden, wo wir so stark eingeschneit waren, dass wir mit Skiern einkaufen fahren mussten. Fiel dann auch noch der Strom aus, saßen wir mit Kerzen in der tiefen Finsternis im heulenden Sturm. Unter solchen Bedingungen sind Gespräche über das Wetter keineswegs nur Smalltalk.
Schwermut als Dreingabe?
Zu den besonders häufig gestellten Fragen gehört, ob die Menschen deshalb nicht besonders schwermütig sein müssten. Die Frage lässt sich nicht leicht beantworten, denn natürlich klagen die Isländer gerne über den Winter. Aber sie kennen es schließlich auch nicht anders, sind auf die kalte Jahreszeit eingestellt und machen das Beste daraus. Die Straßen und Häuser sind hell erleuchtet, denn Energiesparen ist im Lande der Geothermie ein Fremdwort. So oft und so viel wie möglich macht man es sich zu Hause gemütlich bei Kaffee und Kuchen, erzählt Geschichten und freut sich doppelt, wenn man dem heulenden Sturm entkommen ist.
Eine besondere Winterfreude sei hier jedoch auf keinen Fall verschwiegen: das Baden! Überall gibt es Freibäder mit wannenwarmem Wasser, und in den heißen Töpfen übersteht man selbst die grimmigste Kälte und den heftigsten Sturm. Frieren die Haare ein, taucht man sie kurz in das warme Wasser und blickt dann wieder in den schwarzen Himmel – und ist die Nacht finster und der Himmel klar genug, gibt es dort zur Belohnung ein Polarlicht zu sehen. Island im Winter: Das ist mit Sicherheit etwas für Fortgeschrittene – aber mit etwas Glück bieten sich auch ganz besondere Momente voll atemberaubender Schönheit!
Siehe hierzu auch:
• Island und seine warmen Quellen: Badespaß zu jeder Jahreszeit
• Der Vulkanausbruch von Heimaey: Die abgewendete Katastrophe
• Island und seine puristische Sprachpolitik: inspirierend und witzig zugleich
• Die Isländersagas: Islands Beitrag zur Weltliteratur
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Lettisch, Estnisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!