Redensarten sagen so manches über einen Kulturkreis aus – aber wer hätte spontan gedacht, dass es in Island besonders viele tierische Redensarten gibt, bei denen sich alles um das Schaf dreht?
Als ich mich einmal mit einer Übersetzerkollegin für Niederländisch über das Thema „Redensarten“ unterhielt, meinte sie sofort: „Bei Niederländisch kannst du darauf wetten, dass es immer um das Wetter in all seinen Ausprägungen geht, vom Regen über den Wind bis zum Sturm.“ So etwas gibt es im Isländischen auch, und vermutlich gilt das für viele nördliche Küstenregionen mit einem rauen Klima und häufigen Niederschlägen in allen erdenklichen Formen und Mengen.
Fisch und Wetter versus Schaf und Wolle
Dann überlegte ich aber weiter, welchen mehr oder weniger üblichen Themengebieten sich isländische Redensarten sonst noch zuordnen lassen. Es dürfte kaum überraschen, dass allerlei Redensarten vom Fischfang und der Seefahrt handeln – schließlich nimmt der Fisch in Island eine zentrale Rolle ein, sowohl als Nahrungsmittel als auch für den Export. Aber bei der Arbeit an meinem isländischen Wörterbuch fielen mir vor allem die zahlreichen Redensarten auf, in denen es um Schafzucht geht.
Um die Ecke gedacht
Darunter befinden sich zahlreiche tierische Redensarten, die wir im Deutschen nicht in dieser Form kennen, aber zumindest relativ leicht entschlüsseln können. So heißt es beispielsweise „in den Ziegenstall gehen, um Wolle zu holen” – also am falschen Ort nach etwas suchen wollen. Das entspricht am ehesten unserem „Äpfel vom Birnbaum ernten wollen”. „Er ist kein Lamm, mit dem man spielen sollte” – dahinter erahnt man etwas wie „mit ihm ist nicht zu spaßen” oder noch besser „mit dem ist nicht gut Kirschen essen”. Wer in Island seine „Pferche ausdehnt”, erweitert seinen Tätigkeitsbereich. Schön, aber schon schwieriger fand ich „aus einem anderen Schafstall kommen” – es heißt einfach nur „von einem anderen Schlag sein” oder „einer anderen Gruppe angehören”. Bei solchen und anderen Wendungen muss man wirklich lange überlegen oder suchen, aber es fällt auf, dass in vielen isländischen Phrasen fleißig Schafe sortiert und geschoren werden und anschließend die Wolle eingebracht und gesponnen wird.
Wenn sich alles um das Schaf dreht
Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren. Ich könnte mir vorstellen, dass die Seefahrt und die Fischerei zwar immer von großer Bedeutung, aber doch eher eine saisonale und männliche Domäne waren. Schafe prägten dagegen den Alltag der gesamten Familie auf dem Land: Die Tiere mussten im Frühjahr in die freie Natur und im Herbst wieder von den Bergen herabgetrieben werden, und sie wurden nicht nur sortiert, markiert, gepflegt, versorgt und geschoren, sondern natürlich auch geschlachtet und gegessen. An den unterschiedlichen Tätigkeiten waren alle beteiligt, Männer wie Frauen – und das war ganz offenbar förderlich für die Entstehung solcher tierischen Redensarten. Für den Übersetzer sind sie manchmal eine Herausforderung – aber sie bieten auch immer wieder Anlass zum Schmunzeln.
Siehe hierzu auch:
• Island und seine puristische Sprachpolitik: inspirierend und witzig zugleich
• Die Isländersagas: Islands Beitrag zur Weltliteratur
• Island und seine warmen Quellen: Badespaß zu jeder Jahreszeit
• Der Vulkanausbruch von Heimaey: Die abgewendete Katastrophe
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Lettisch, Estnisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!