Wer Kurland geografisch in Lettland einordnet, liegt schon einmal richtig. Wesentlich bekannter ist bei uns die südlich davon gelegene Kurische Nehrung. Aber woher kommen diese Namen eigentlich?
In der sächsischen Landeshauptstadt Dresden gibt es das Kurländer Palais und in Berlin die Kurländer Allee. Geschichtsinteressierte verbinden mit dem Namen Kurland vielleicht auch eine der drei historischen Ostseeprovinzen neben Livland und Estland. Darüber hinaus heißt einer der vier heutigen lettischen Landesteile Kurzeme (= Kurland), und deshalb stolpert man in Lettland auf Schritt und Tritt über diesen Namen. Aber woher stammt er?
Die Kuren als baltischer Volksstamm
Gleich vorweg: Mit Kurhaus, sich auskurieren oder dem berüchtigten Kurschatten hat Kurland nichts zu tun. Der Namensgeber war vielmehr der baltische Volksstamm der Kuren, die damit zu dieser eigenständigen indogermanischen Sprachgruppe gehörten. Erstmals erwähnt werden die Kuren im 9. Jahrhundert n.Chr. als „Cori“ in der „Vita Anskari“ des Hamburger Erzbischofs Rimbert, und zwar als Volksstamm, der an der Ostsee siedelte. Ab Ende des 12. Jahrhunderts wurde das Territorium des heutigen Lettland von Deutschland aus erobert, und die Besatzer teilten die Gebiete der heutigen Staaten Estland und Lettland ungeachtet der Herkunft und Ethnie ihrer Bevölkerung in die drei Provinzen Estland, Livland und Kurland ein. Dadurch wurde der Name Kurland über die Grenzen der Region hinaus bekannt.
Der historische Begriff Kurland, die heutige lettische Region Kurzeme und das Siedlungsgebiet der baltischen Kuren sind jedoch nicht deckungsgleich. Dass sich das Gebiet der Kuren auch über das westliche Lettland hinaus erstreckte, zeigt die bei uns inzwischen recht gut bekannte Kurische Nehrung. Im Süden reicht sie bis zur samländischen Küste, wo sich einst das Siedlungsgebiet des baltischen Volksstamms der Prußen anschloss. Man mag sich das Gebiet der Kuren also vor allem als diesen Abschnitt der Ostseeküste vorstellen, mit den Hafenstädten Klaipėda in Litauen sowie Ventspils und Liepāja in Lettland und mit endlosen Sandstränden. Für die Litauer ist ihr Küstenabschnitt eine besonders beliebte Urlaubsregion, und der Badeort Palanga gilt gar als heimliche Sommerhauptstadt Litauens. Seit Litauen und Lettland beide Mitglieder in EU und NATO und darüber hinaus im Schengenraum und in der Eurozone sind, spielt die Grenze zwischen diesen beiden Staaten eine immer geringere Rolle. Umso schärfer wird dagegen inzwischen die russische Grenze bewacht, die quer über die Kurische Nehrung verläuft.
Baltische Rest- und Trümmersprachen
Was haben die Kuren jenseits ihres Namens der Nachwelt hinterlassen? Als Volksstamm mögen sie in den größeren baltischen Völkern der Litauer und Letten aufgegangen sein, aber eine Sammlung von Wörtern und Namen belegt, dass das Kurische eine eigenständige baltische Sprache war und dass die Ethnogenese der Balten damit vielseitiger ist als gemeinhin angenommen. Die Sprache der Kuren dürfte spätestens im 16. Jahrhundert ausgestorben sein, aber sie hat neben Ortsnamen auch Wortformen hinterlassen, die nicht mit den lettischen Lautgesetzen übereinstimmen. In der Sprachwissenschaft spricht man deshalb von „Kuronismen“ – und ehrt auch auf diese Weise das Andenken dieses untergegangenen Volksstamms.
Siehe hierzu auch:
• Baltisch – was genau ist damit gemeint?
• Litauen: Europas vergessene Großmacht
• Das Memelland – wenig bekannt und traumhaft schön
• Die Liven – ein fast vergessenes Volk
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer (Schwedisch, Lettisch), staatlich überprüfter Übersetzer (Isländisch), staatlicher Prüfer (Schwedisch, Isländisch, Litauisch, Lettisch und Estnisch) und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für diese Sprachen. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!