Spontan würde man Wortdopplungen als schlechten Stil empfinden. Aber es gibt überraschend viele Sonderfälle und Ausnahmen.

Von Dr. Berthold Forssman

Während der Arbeit an meiner Dissertation stieß ich auf einige seltsame Adverbien im Litauischen und Lettischen, die Verben, Adjektive oder andere Wortarten mit der gleichen Wurzel verstärken. Lettisch „pilns“ bedeutet „voll“, aber es kann auch das Adverb „pilnum“ davortreten, das eigentlich gar keine eigene Bedeutung hat und nur zur Verstärkung dient. „pilnum pilns“ wäre dann etwas wie „brechend voll“ oder „übervoll“. Noch seltsamer fand ich Verbindungen wie „skriešus skriet“, was man mit „rennend rennen“ übersetzen müsste und wo es ebenfalls um eine Intensivierung geht, also „besonders schnell rennen“. Irgendwann wurde ich dann doch neugierig, ob es in anderen Sprachen ein vergleichbares Phänomen gibt und wie es eingesetzt wird.

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Ein überraschend umfassendes Thema

In der Folgezeit stieß ich auf eine wahre Flut an Beispielen in zahlreichen Sprachen, unterschiedlich konstruiert und zu unterschiedlichen Zwecken verwendet. Relativ spontan fällt einem vielleicht „den Schlaf der Gerechten schlafen“ ein, und es ist vollkommen gebräuchlich, das Substantiv „Spiel“ mit „spielen zu verbinden. Niemand würde Anstoß an dem Satz „sie spielten ein Spiel“ nehmen. Nicht ganz dazu passen „eine Sprache sprechen“ oder „der Fluss fließt“, weil die Wurzeln in unterschiedlichen Ablautformen vorliegen. Auch bei „von dem Zaubertrank trinken“ fällt die Doppelung deshalb nicht besonders auf.

Tatsächlich gibt es auch im Deutschen allerhand Möglichkeiten, durch eine Wortdopplung eine Verstärkung zu erreichen, was in etwa dem Lettischen entsprechen würde. Aus Märchen kennen wir beispielsweise „und sie lebte in einem großen, großen Haus“. Des Weiteren gibt es den Intensitätsgenitiv, z.B. „die Nacht der Nächte“. An der Universität lasen wir die in Keilschrift verfasste altpersische Behistun-Inschrift, in der sich Dareios I. unter anderem als „König der Könige“ bezeichnet. Ein Sonderfall wäre dagegen „Kindeskinder“, denn dabei handelt es sich um Zusammenrückung und nicht um eine Steigerung. In vielen Sprachen gibt es außerdem Verbindungen wie „Auge um Auge“, „Schritt für Schritt“ oder „von Angesicht zu Angesicht“. Ein anderer Typ sind (oft lautmalerische) Wörter aus Doppelformen mit unterschiedlichen Vokalen, z.B. „bimbam“ oder „tipp tapp“.

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Und was wird damit ausgedrückt?

Mindestens ebenso vielfältig wie die Zahl der Möglichkeiten, gleiche Wörter oder Wörter mit derselben Wurzel miteinander zu verbinden, ist die Zahl der Einsatzmöglichkeiten. Verstärkung, Steigerung oder Intensivierung habe ich schon genannt. Bei „saufen, saufen, den ganzen Tag saufen“ (Gerhart Hauptmann) wird die Länge der Handlung unterstrichen. Anders wäre dagegen schon wieder „er klopfte und klopfte, aber nichts rührte sich“. Es gibt Sprachen, die deutlich mehr Typen der Wortdopplung kennen als das Deutsche – aber bei näherem Betrachten und aufmerksamer Lektüre ist es dann doch erstaunlich, auf wie viele Beispiele man stößt.

Siehe hierzu auch:
Ein Plädoyer für lateinische Grammatikbegriffe!
Wortarten – im Reich der Grauzonen
An der Wiege der Wörter: Zusammenrückungen
Lange Wörter: vielfältig, spannend und anstrengend
Sprachverwandtschaften als Lernhilfe

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!