Natürlich spiegeln Fernsehkrimis nicht die Realität wider. Aber müssen sie deshalb auch in sprachlicher Hinsicht so wirklichkeitsfremd sein?
Ein durchschnittlicher Fernsehkrimi ist rasch beschrieben: Er dauert maximal 90 Minuten, und fast immer geht es um Mord. Das erste Opfer ist oft jung und hübsch, aber später stellt sich heraus, dass es doch nicht besonders sympathisch war, denn sonst wäre es zu tragisch. Unter Umständen verübt der geheimnisvolle Täter weitere Morde, um Spuren zu verwischen oder Mitwisser auszuschalten, und am Ende kommt es zu einem Showdown, bei dem der Täter ein vollumfängliches Geständnis ablegt und sämtliche Fragen des Polizisten beantwortet, damit alle beruhigt ins Bett gehen können.
Verzerrtes Wirklichkeitsbild
Parallel dazu geht es um die Ermittlerinnen und Ermittler. Sie haben oft ein mehr oder weniger chaotisches Privatleben und verständnislose Partnerinnen oder Partner und Kinder, die ständig enttäuscht von ihnen sind. Die Vorgesetzten sind langweilige Paragrafenreiter, die stur an irgendwelchen weltfremden Prinzipien festhalten, die es nach Möglichkeit zu umgehen gilt, um wirklich effektive Polizeiarbeit zu leisten. Diese sieht vor, dass die ermittelnden Beamtinnen und Beamten einfach mal schnell in verdächtige Wohnungen eindringen, in denen ihnen die Beweismittel wie auf einem Silbertablett serviert werden. Natürlich bringen sich die Ermittlerinnen und Ermittler zwischendurch auch selbst in Gefahr, werden angegriffen, geraten in eine Falle oder werden zumindest gefangen genommen. Selbstverständlich haben sie dann nie ein geladenes Handy oder eine Dienstwaffe dabei und haben niemandem mitgeteilt, wohin sie – einer spontanen genialen Eingebung folgend – aufgebrochen sind. Beim großen Showdown haben sie nach all den waghalsigen Klettertouren und Kämpfen blutige Schrammen und zerrissene Kleider.
Die Verhältnisse – sie sind nicht so
Natürlich darf man das als literarische Freiheit betrachten, und dem Publikum ist vermutlich klar, dass die Realität anders aussieht. Aber wie sehr? Zunächst einmal ist natürlich nicht jedes Tötungsdelikt ein Mord, und Beziehungstaten sind deutlich seltener als Taten im Drogen- oder sonstigen Mafiamilieu. Auch wird geflissentlich übersehen, dass Beweismittel, die nicht auf „saubere Weise“ gewonnen wurden, im Prozess nicht verwendet werden dürfen. Die Staatsanwaltschaft dürfte sich vielmehr bedanken, wenn ihnen zwar ein mutmaßlicher Täter serviert wird, dieser aber wegen solcher Ermittlungspannen nicht vor Gericht gebracht werden kann. Selbstverständlich müssen die Ermittler im Fernsehen niemals Aktenberge studieren, Berichte schreiben oder mühsam von Tür zu Tür gehen, um nach Zeugen zu suchen. Warum sollten übrigens die Festgenommenen sofort alles gestehen? Schließlich müssen erst einmal stichhaltige Beweise gegen sie vorgebracht werden. Und überhaupt, die Staatsanwaltschaft und der anschließende Strafprozess: Die werden komplett ausgeblendet, obwohl erst vor Gericht die Frage geklärt wird, ob wirklich ein Mord vorliegt. Vielleicht war es ja doch „nur“ Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge oder fahrlässige Tötung durch Unterlassen?
Begriffliches Kuddelmuddel
Nun bin ich zwar weder Jurist noch Polizist, und ich bin weder Krimischriftsteller, noch betreibe ich einen Kriminal-Podcast. Aber auf der einen Seite komme ich als gerichtlich ermächtigter Übersetzer mit Ermittlungs- und Gerichtsakten in Berührung und muss wissen, was ich wie zu übersetzen habe, damit die Richterin bei der Lektüre nicht zusammenzuckt. Auf der anderen Seite übersetze ich aber auch Kriminalfilme und Belletristik, und schließlich schaue ich mir gelegentlich durchaus auch mal einen Krimi an oder höre in einen True-Crime-Podcast rein. Da sträubt sich mir regelmäßig das Gefieder. Zunächst einmal wird man von der Polizei in der Regel festgenommen und nicht „verhaftet“, denn dafür wird ein Haftbefehl benötigt. Polizistinnen verhören nicht, sie vernehmen. Aus literarischer Sicht mag es verlockend wirken, Begriffe zu variieren, damit sie sich nicht ständig wiederholen – in juristischem Kontext geht das aber auf gar keinen Fall. Da darf ich Verbrechen nicht einfach mal durch Vergehen oder Delikt ersetzen, damit es sich nicht so langweilig liest. Verdächtigte, Beschuldigte und Angeklagte wirbeln munter durcheinander, und es wird gegen alles Mögliche Berufung eingelegt – Begriffe wie Straftat, Revision oder Rechtsmittel werden dagegen vorsichtshalber vermieden. Sind sie vielleicht zu akademisch? Natürlich verstehe ich, dass die Umgangssprache und die Literatur anderen Mustern folgen und andere Absichten haben als die Rechtssprache. Aber wäre nicht in manchen Fällen ein Kompromiss möglich? Mit Vernehmung statt Verhör und Festnahme statt Verhaftung wäre doch schon mal ein guter Anfang gemacht.
Siehe hierzu auch:
• Filme übersetzen: Spaß und Herausforderung in einem
• Schwedisch lernen mit Maj Sjöwall und Per Wahlöö
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer u.a. für Estnisch, Litauisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!