Übersetzen ist weit mehr als die 1:1-Übertragung eines Textes in eine andere Sprache nach einem ständig gleichen Muster. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen.
Der Preis für eine Übersetzung bemisst sich in der Regel entweder nach dem Zeitaufwand oder noch häufiger nach der Textmenge. Aber bemesse ich sie nach dem Ausgangstext oder nach der fertigen Übersetzung? Dabei sind nämlich erhebliche Abweichungen möglich. Die Gründe dafür können relativ banal sein: Sprachen wie Lettisch sind mit ihren zahlreichen Diakritika relativ ökonomisch: Langvokale werden durch einen Strich über dem Buchstaben gekennzeichnet, z.B. ā oder ē, während Langvokale im Deutschen oft mit zwei Buchstaben wiedergegeben werden. Noch platzsparender sind lettische Buchstaben wie š oder č im Vergleich zu deutschem „sch“ bzw. „tsch“.
Unterschiedliche Grammatikmodelle
Auch die Grammatik einer Sprache spielt eine wesentliche Rolle. Estnisch kennt beispielsweise keine Artikel und nutzt viele Kasusendungen, wo das Deutsche Präpositionen verwendet. Ein „laual“ ist damit viel kürzer als „auf einem Tisch“. Ein litauisches Partizip wie „grįžęs“ muss manchmal durch einen kompletten Nebensatz aufgelöst werden wie „nachdem er zurückgekehrt war“. Auch lassen sich manche Wörter im Ausgangstext nicht einfach mit einem einzelnen deutschen Wort wiedergeben. Übersetzungsbüros, die nur die Abrechnung nach Wörtern im Ausgangstext kennen und nur mit gängigen Sprachen zu tun haben, erschrecken regelrecht über die hohen Wortpreise, die sich aus diesen Gründen ergeben.
Wie formatieren?
Manchmal empfiehlt es sich oder es wird extra gewünscht, dass eine Übersetzung möglichst eng an die Formatierung der Vorlage angepasst wird, damit sie hinterher möglichst ähnlich aussieht. Das wird aber umso schwieriger, wenn die Übersetzung wegen ihrer Länge nicht mehr in vorgegebene Tabellenspalten passt oder wenn der Satzbau ein ganz anderer ist. Auch können Romanübersetzungen deutlich dicker werden als das Original, was der Verleger bei seiner Kalkulation der Druckkosten berücksichtigen muss.
Unterschiedliche Zielgruppen
Besonders zu beachten ist bei einer Übersetzung, für welche Zielgruppe sie bestimmt ist und wozu sie angefordert wird. Geht es womöglich um einen komplizierten Rechtsstreit? Soll die Übersetzung anschließend veröffentlicht werden? Soll sie dann besonders griffig wirken oder schön klingen? Sollen Fehler im Ausgangstext angemerkt werden, komplizierte Wörter oder unbekannte Sachverhalte in Anmerkungen eigens erklärt werden? In vielen Fällen kann man also ein und denselben Text auf ganz unterschiedliche Arten übersetzen. Dafür ist manchmal auch Aufklärungsarbeit nötig. Oft habe ich von ungeduldigen Kunden den Satz gehört „übersetzen Sie doch einfach“, bis schließlich doch klar wurde, was am besten geeignet ist. Abgesehen davon: Diese und viele andere Kriterien wie der Schwierigkeitsgrad, kulturelle Besonderheiten oder die Eilbedürftigkeit fließen in die Preisgestaltung ein. Die Information „wir haben hier einen litauischen Text mit 100 Wörtern“ ist für mich daher in der Regel wenig aussagekräftig, wenn ich den Text nicht gesehen habe. Aber wenn ich dem Kunden erkläre, wie der Preis zustande kommt und er mir dann den Auftrag erteilt, sind am Ende beide Seiten zufrieden.
Siehe hierzu auch:
• Wie schreibt man ein Wörterbuch – und warum?
• Isländisch und seine tierischen Redensarten
• Baltisch – was genau ist damit gemeint?
• Schwedisch: wirklich alles wie im Deutschen?
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!