In vielen Sprachen gibt es sogenannte Internationalismen. Aber wird dadurch die Verständigung über die Grenzen hinweg immer automatisch erleichtert?

Von Dr. Berthold Forssman

Wenn mir bei der Konversation in einer Fremdsprache Wörter fehlen, greife ich zu einem simplen Trick: Ich spreche einfach Latein oder Altgriechisch. Das ist natürlich ein kleiner Scherz, denn gemeint sind nicht diese altehrwürdigen Sprachen, sondern die vielen Wörter, die aus ihnen übernommen worden sind und Eingang in zahlreiche Sprachen gefunden haben. Dazu gehören beispielsweise Demokratie, Kritik, Republik, Politik, Funktion, Kandidatur, Station, Therapie, Vision, optimistisch und fantastisch, wobei die Wörter jeweils lautlich und grammatisch an die aufnehmende Sprache angepasst wurden. So benutzt das Deutsche für Verben häufig die Endung -ieren wie in monieren, provozieren, integrieren, kandidieren, deklarieren und reagieren oder wandelt lateinisch -tas (-tatis) in -tät um wie in Autorität, Universität und Fakultät. Schier endlos lang ist die Liste dieser sogenannten Internationalismen, und darüber hinaus gibt es auch Wörter aus anderen Sprachen, die sich international ausgebreitet haben, zum Beispiel Coupon, Medaille und Hotel aus dem Französischen oder Computer aus dem Englischen.

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Verständigung mit Einschränkungen

Diese Internationalismen können auf jeden Fall höchst praktisch sein und das Erlernen anderer Sprachen, die Verständigung vor Ort und die Orientierung für Reisende erleichtern. Allerdings funktioniert das längst nicht überall. So gibt es Länder, die eine puristische Sprachpolitik verfolgen und solche Wörter nach Möglichkeit meiden. Ein Musterbeispiel dafür ist Island, wo das Telefon „sími“, die Polizei „lögregla“ und die Republik „lýðveldi“ heißt. Ein weiteres Beispiel ist Finnland, das zwar weniger streng vorgeht, aber doch deutlich weniger Internationalismen verwendet. So heißt die Republik dort „tasavalta“, die Universität „yliopisto“ und der Redakteur „toimittaja“. In meinem Estnisch-Kurs war dies einer der wenigen Punkte, wo ich meinen finnischen Mitlernenden sogar überlegen war, weil ich bei entsprechenden estnischen Wörtern gar nicht erst nachdenken musste. Übrigens hält sich auch im Deutschen hartnäckig das Fernsehen gegenüber Television, und statt Adresse können wir genauso gut Anschrift sagen.

Programmierte Missverständnisse

Noch tückischer sind allerdings sogenannte „falsche Freunde“, also Wörter, die gleich aussehen, aber etwas anderes bedeuten. In mehreren Sprachen bedeutet „Milicija“ nicht Miliz, sondern Polizei. Bei „Polygon“ würde wohl kaum jemand von uns an einen Truppenübungsplatz oder bei „Lokator“ an eine Radarstation denken. „Konkurs“ ist für uns der finanzielle Ruin und kein Wettbewerb. „Eskalator“ ist anderswo eine Rolltreppe, der „Administrator“ steht am Hotelempfang, und englisch „authorities“ bedeutet keineswegs „Autoritäten“, sondern „Behörden“. Überaus gekünstelt klingt für mich die „US-Administration“ – gemeint ist ja schließlich die Regierung.

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Das Handy ist bekanntlich im Englischen kein Mobiltelefon, und Bildungen wie „cellular“ sind bei uns gar nicht gebräuchlich. Auf das Smartphone hat das Estnische kreativer reagiert als wir: Dort heißt es „nutitelefon“ („nutt“: clever, schlau), und überhaupt ist der Computerbereich längst nicht so anglifiziert, wie man meinen könnte. Wir sagen beispielsweise Datei statt „file“, der Computer heißt im Schwedischen wie selbstverständlich „dator“, die Software „mjukvara“ (mjuk = weich). Statt Chatroom sagen die Letten terzētava („Plauderstube“), statt App lietotne (von lietot „anwenden). Und warum soll man in Island Mousepad sagen, wo es doch so schöne Wörter wie músarmotta („Mäusematte“) gibt?

Siehe hierzu auch:
Island und seine puristische Sprachpolitik: inspirierend und witzig zugleich
Sprachverwandtschaften als Lernhilfe
Island und seine puristische Sprachpolitik: inspirierend und witzig zugleich
Falsche Freunde – von lustig bis tückisch

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer u.a. für Estnisch, Litauisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!