Wer als Übersetzer für kleine oder kleinste Sprachen arbeitet, erlebt mit Sicherheit viele spannende Momente, steht aber auch vor ganz besondere Herausforderungen.

Von Dr. Berthold Forssman

Kenntnisse über die Sprachen dieser Welt und ihre Herkunft sind in Deutschland relativ schwach ausgeprägt. In Lettland lernt jedes Schulkind, dass das Lettische zusammen mit dem Litauischen und dem ausgestorbenen Altpreußischen zu den baltischen Sprachen gehört, einer eigenständigen indogermanischen Sprachgruppe, nicht aber das Estnische. Wie viele Deutsche wissen dagegen, dass sie eine germanische Sprache ‎sprechen und dass dies auch für das Schwedische und das vermeintlich so geheimnisvolle Isländische gilt? ‎Wer mit einem kleineren Land oder einer kleineren Sprache beruflich und privat ständig tun hat, muss sich demnach gleichzeitig mit der Tatsache auseinandersetzen, dass sein Geschäftspartner genau zu diesem Land, seiner Sprache und seiner Kultur vielleicht nur wenig weiß. Oft muss ich beispielsweise erst einmal klären, um welche Sprache es überhaupt geht, und viele Begriffe bedürfen einer zusätzlichen Erklärung.

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Weniger Hilfsmittel – mehr Aufwand

Natürlich gibt es auch für meine Arbeitssprachen Estnisch, Lettisch und Litauisch inzwischen immer mehr brauchbare Hilfsmittel. Vor ein paar Jahren sah die Lage hier freilich noch ganz anders aus. Das Isländische ist schon länger im allgemeinen Bewusstsein etabliert, fällt aber mit seiner geringen Sprecherzahl doch immer wieder aus der Rolle. Kleine Länder haben oft auch größere Mühe, einen Fachwortschatz zu entwickeln, der wirklich alle Bereiche abdeckt. So stoße ich regelmäßig auf Begriffe, die offenbar erst vor kurzer Zeit geprägt worden sind oder aus anderen Gründen noch keine größere Verbreitung gefunden haben. Das macht die Recherche spannend, aber oft auch recht anstrengend und zeitraubend.

Bei meinen Kolleginnen und Kollegen, die aus „großen Sprachen“ übersetzen, wird viel über die Notwendigkeit der Spezialisierung auf ein bestimmtes Fachgebiet diskutiert. Das ist ganz gewiss auch völlig richtig so. Allerdings sieht mein Geschäftsmodell anders aus. So gibt es zwar gar nicht so wenige Litauerinnen, Lettinnen oder Estinnen, die aus dem Deutschen in ihre jeweilige Muttersprache übersetzen, aber es gibt wesentlich weniger deutsche Muttersprachler, die aus dem Estnischen, Lettischen oder Litauischen ins Deutsche übersetzen. Insofern ist das Angebot „Übersetzungen Estnisch-Deutsch von deutschem Muttersprachler“ bereits eine Spezialisierung, während es wohl kaum möglich oder sinnvoll ist, sich auf Fachgebiete wie Naturkosmetik, Zahnmedizin oder Baustoffe zu spezialisieren – denn dafür ist der Markt einfach zu klein.

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Quereinsteiger als der Normalfall

Eine weitere Besonderheit ist, dass es bei uns so gut wie keine Studien- oder Ausbildungsgänge für Übersetzer kleiner Sprachen gibt. Fächer wie nordische oder baltische Philologie haben andere Schwerpunkte, und gewiss kann man dort gute Sprachkenntnisse erwerben, aber man wird eben nicht vorrangig als Übersetzer ausgebildet. Letztlich sind die meisten von uns das, was man „Quereinsteiger“ nennt. Das führt noch zu einer weiteren Besonderheit: Nur selten haben wir uns früh für diesen Beruf entschieden und schon gar nicht aus strategischen Gründen. Es gehört ganz besonders viel Liebe zu einem Land und seiner Sprache dazu, sich auf diesem steinigen Weg voranzukämpfen – aber ich kann dazu nur sagen: Ich habe es nie bereut.

Siehe hierzu auch:
Warum eine bestimmte Sprache lernen?
Bildungslücke baltische Staaten
Übersetzen – weit mehr als 1:1
Schwieriger geht immer – aber gilt das auch für Sprachen?
Mir fehlt ein Wort!
Sprachverwandtschaften als Lernhilfe

Berthold Forssman

Über den Autor

Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Estnisch, Lettisch, Litauisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!