Die Hanse hat jahrhundertelang den nordeuropäischen Raum weit über Deutschland hinaus wirtschaftlich und kulturell geprägt – nicht zuletzt in sprachlicher Hinsicht!
Deutsche Städte wie Hamburg, Lübeck, Bremen, Wismar, Stralsund oder Rostock führen stolz den Titel „Hansestadt“ und halten auf diese Weise einen Begriff lebendig, dessen Ursprung und Tragweite vielleicht gar nicht mehr allen geläufig ist. Die Hanse war ein Zusammenschluss deutscher Kaufleute, die ihren Radius nach und nach immer weiter ausdehnte und dazu auch Handelsniederlassungen und -kontore in Städten wie Visby auf der schwedischen Insel Gotland oder im norwegischen Bergen eröffnete. Die Kaufleute transportierten mit ihren Koggen unter anderem gefragte Erzeugnisse wie Bier und Salz nach Norden und kehrten dann mit den in Deutschland als Fastenspeise beliebten Salzheringen zurück. So legte die Hanse den Grundstein zu ihrem Reichtum und erreichte im Spätmittelalter ihre Blütezeit.
Aber die norddeutschen Kaufleute übten auch starken kulturellen und sprachlichen Einfluss aus. Wer Deutsch als Muttersprache hat und mit den nordischen Sprachen Schwedisch, Norwegisch und Dänisch in Berührung kommt, stellt zahlreiche Ähnlichkeiten fest. Schwedische Wörter wie „fråga“ (fragen), „belöna“ (belohnen), „arbete“ (Arbeit) sind nicht nur ohne viel Mühe zu erkennen, sondern erleichtern auch das Vokabellernen enorm. Der Grund dafür ist aber nicht immer die gemeinsame Zugehörigkeit zur germanischen Sprachgruppe, sondern es handelt sich in vielen Fällen um deutschen Einfluss. Das zeigt auch ein Vergleich mit dem ebenfalls nordgermanischen Isländischen, das dieser Beeinflussung wegen der großen Entfernung weniger stark ausgesetzt war. Das Isländische hat deshalb den altnordischen Sprachzustand in vieler Hinsicht besser bewahrt als die nordischen Sprachen auf dem Kontinent.
Nicht immer leicht zu erkennen
Nun gab es allerdings im Spätmittelalter noch keine einheitliche deutsche Schriftsprache, und das damals in den Hansestädten gesprochene sogenannte Mittelniederdeutsche weicht in vielen Punkten von unserem heutigen Standarddeutschen ab. Auch sind die Entlehnungen teilweise an die Lautungen der aufnehmenden Sprachen angepasst worden. Das führt dazu, dass wir die aus dem „Hansedeutschen“ stammenden Wörter nicht immer sofort als solche erkennen.
Das Mittelniederdeutsche wurde durch die Hanse zur „Lingua franca“ im Ostseeraum und hat nicht nur das Schwedische, Norwegische und Dänische entscheidend geprägt, sondern auch das Estnische und Lettische. Tallinn und Riga sind alte Hansestädte, und der deutsche Einfluss ist im Stadtbild deutlich zu erkennen. Was sprachliche Einflüsse betrifft, so hat das Estnische beispielsweise die Wörter „köök“ (Küche), „pann“ (Pfanne) und „kook“ (Kuchen) aus dem Mittelniederdeutschen übernommen, ebenso den „pannkook“ (Pfannkuchen). Im Lettischen braucht man dagegen schon etwas mehr Mühe, um in einem „brokastis“ (Frühstück) ein „frokost“ wiederzuerkennen. Dafür finde ich aber lettisch „kuģis“ (Schiff) ganz besonders reizend, denn es geht auf „Kogge“ und damit auf den Segelschifftyp zurück, der so typisch für die Hanse ist.
Siehe hierzu auch:
• Estland und Lettland – die fremden Freunde
• Schwedisch: wirklich alles wie im Deutschen?
• Sprachverwandtschaften als Lernhilfe
• Falsche Freunde – von lustig bis tückisch
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Lettisch, Estnisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!