Wer hat noch nicht den Stoßseufzer gehört, wie schwierig Deutsch doch sei? Allerdings stöhnen deutsche Muttersprachler mindestens genauso oft über schwierige Sprachen, mit denen sie sich gerade auseinandersetzen. Was ist an solchen Behauptungen dran?
In meinem Studium klagten die Germanistikstudierenden über den Pflichtkurs Mittelhochdeutsch, während die ebenfalls dort anwesenden Skandinavisten darüber nur müde lächeln konnten: Altnordisch bzw. Altisländisch, das sei im Vergleich zum Mittelhochdeutschen geradezu der Inbegriff von schwierig! Das sahen die Slawisten ganz anders, war doch Altnordisch wenigstens eine germanische Sprache und damit nicht so fremd wie das Altkirchenslawische, mit dem sie sich herumschlagen mussten. Die Kursteilnehmer aus der Indogermanistik schüttelten zu solchen Äußerungen nur nachsichtig den Kopf und hoben hervor, wie schwierig doch Sanskrit sei, das klassische Altindische. Den Vogel schoss aber am Ende eine Studentin aus unserem Sanskrit-Seminar ab, die im Hauptfach Altorientalistik studierte. „Akkadisch und die babylonische Keilschrift – das ist die Hölle auf Erden!“, erklärte sie, und alle anderen schwiegen ehrfürchtig.
Alles ist relativ – auch bei Sprachen
Bislang habe ich nur sogenannte „tote Sprachen“ aufgezählt, aber auch für die „lebenden Sprachen“ gilt, dass eine fremde Schrift in der Regel zunächst einmal ein Hindernis darstellt. Auch eine komplizierte Rechtschreibung wie z.B. im Englischen ist mühsam – hier schneidet beispielsweise das Finnische ungleich besser ab, denn hier spricht man wirklich genau, wie man schreibt. Eine weitere Frage ist, wie schwer uns die jeweilige Aussprache fällt. Gibt es Laute, die wir nicht kennen? Wer kein phonetisches Wunderkind ist, wird sicher über Tonsprachen wie Chinesisch oder Vietnamesisch stöhnen, aber auch das Litauische kennt Intonationen und einen freien Wortakzent. Je abgeschliffener eine Sprache ist, desto schwieriger ist dann oft das Hörverständnis: Mit Dänisch tue ich mich manchmal immer noch schwer. Viele lernen relativ schnell, Schwedisch zu lesen, aber die Aussprache und das Hörverständnis fallen ihnen dann doch schwer. Eine wichtige Rolle spielt auch die Sprachverwandtschaft: So ist für Deutsche der Einstieg ins Schwedische womöglich einfacher als beispielsweise für Litauer, die sich dafür mit dem Lettischen als baltischer Sprache ungleich leichter tun als wir.
Haupthindernis Grammatik?
Wenn wir von „schwierigen Sprachen“ reden, meinen wir allerdings meistens die Morphologie, also die klassische Grammatik. Zu den Wanderlegenden gehört, dass das Finnische wegen der hohen Zahl seiner Fälle besonders schwierig sei. Aber entscheidend ist weniger, wie viele Kasus eine Sprache hat, sondern wie regelmäßig sie gebildet werden, und das ist beim Finnischen viel eher der Fall als beispielsweise im Isländischen. Hat eine Sprache weniger Morphologie aufzuweisen, muss sie das auf andere Weise ausgleichen, zum Beispiel durch eine bestimmte Wortstellung oder Präpositionen, die sich viel schlechter durch Regeln erfassen lassen. Da kann es dann passieren, dass eine solche Sprache anfangs relativ leicht erscheint, im Lauf der Zeit aber immer schwerer wird. So erging es mir mit dem Schwedischen, während es beim Finnischen andersherum war: Der Einstieg war wegen der fehlenden Sprachverwandtschaft anstrengend, aber dann wurde es immer einfacher.
Es lässt sich also bestimmt nicht auf die Schnelle oder nach klaren Kriterien festlegen, ob bestimmte Sprachen besonders schwierig sind. Natürlich hängt das auch von zahlreichen individuellen Faktoren ab oder davon, welches Ziel man erreichen möchte. Ich sage deshalb einfach nur: Sprachenlernen ist grundsätzlich immer eine Herausforderung, aber entscheidend finde ich auch, ob man guten Unterricht bekommt und ob es gute Lehrmittel gibt. Oft sind nämlich gar nicht die Sprachen das Schwierige, sondern die Umstände, unter denen wir sie lernen müssen.
Siehe hierzu auch:
• Wie schwierig ist Estnisch?
• Wie alt sind Europas Sprachen?
• Lange Wörter: vielfältig, spannend und anstrengend
• Isländisch und seine tierischen Redensarten
Über den Autor
Dr. Berthold Forssman studierte an den Universitäten Erlangen, Reykjavík und Kiel Skandinavistik (Nordische Philologie), Slawistik und Germanistik und promovierte nach dem Magister in Skandinavistik an der Universität Jena in Indogermanistik über ein Thema zu den baltischen Sprachen. Seit 2002 ist er als freiberuflicher Übersetzer, Journalist und Autor tätig und übersetzt aus den Sprachen Schwedisch, Lettisch, Litauisch, Estnisch und Isländisch in seine Muttersprache Deutsch. Er ist staatlich geprüfter Übersetzer für Schwedisch und Lettisch, staatlich überprüfter Übersetzer für Isländisch, staatlicher Prüfer für Estnisch, Lettisch und Isländisch und vom Landgericht Berlin ermächtigter Übersetzer für Schwedisch, Lettisch, Estnisch und Isländisch. Zur persönlichen Website des Autors gelangen Sie hier!